Kapitel 5

London

Reginald Petchey stürmte in das Büro seines Anwaltes und schlug die Tür hinter sich zu.

„Sie sollten besser gute Nachrichten für mich haben, Farnsworth.“ Er warf sich in den Sessel vor dem Schreibtisch des schmächtigen Mannes und starrte ihn zornig an. „In den letzten beiden Wochen sind Sie nicht mit einer einzigen aussagekräftigen Information an mich herangetreten. Das Gericht hat gegen uns entschieden. Jetzt haben Sie die Nerven, mich aus meinem Klub zu holen? Für diese Unverfrorenheit sollte ich Sie auf der Stelle entlassen. Sie –“

„Ich habe Westcott gefunden.“

Reginald hielt in seiner Tirade inne und durchbohrte seinen Anwalt mit einem herablassenden Blick, der ihn für seine unverschämte Unterbrechung strafen sollte. Farnsworth wurde noch blasser und seine Hände zitterten unübersehbar heftig, doch er wandte den Blick nicht ab. Für den Moment. Vielleicht hatte er doch etwas Mumm in den Knochen.

„Mehr Einzelheiten, Farnsworth.“

Farnsworth erwiderte Reginalds Blick noch zwei Sekunden, bevor sein Mund anfing zu zittern. Dann senkte er seinen Blick in Richtung der Schreibtischplatte. Zufrieden mit der Reaktion des Mannes wandte sich Reginald der Betrachtung seiner manikürten Hände zu. Das mutige Aufbegehren seines Anwalts beeindruckte ihn ein wenig, doch es würde dem Speichellecker alles andere als guttun, wenn er nun plötzlich ein Rückgrat entwickelte. Es stand zu viel auf dem Spiel.

„Ja, Sir.“ Die kleine Kröte hustete und raschelte mit den Papieren vor sich. „Ich habe vor zwei Wochen einen Mann nach Leicestershire geschickt, um die Bediensteten des Barons Westcott auszuhorchen. Leider scheinen sie sehr loyal zu sein. Wir mussten viel Geld fließen lassen, bevor wir die gewünschten Informationen hatten.“

„Sie schwätzen, Farnsworth.“

Der Anwalt zuckte zusammen und wand sich in seinem Stuhl, dann schien er den Rest seines Mutes zusammenzukratzen und sah Reginald in die Augen. „Wie auch immer. Wir haben herausgefunden, dass der Baron einen Brief aus Amerika geschickt hat.“

Ungeduldig runzelte Reginald die Stirn. „Wir wussten doch längst, dass Westcott in Amerika ist.“

„Ja, aber bisher wussten wir nicht, wo er sich dort aufhält.“

Farnsworth legte eine Pause ein, um die Spannung zu steigern, aber Reginald hatte genug von diesem Schauspiel. Er sprang auf, stemmte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich über Farnsworth. Ihre Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt.

„Wo … ist … er?“

Farnsworth schluckte und wich zurück, seine runden Augen quollen fast vor Angst aus dem Kopf.

„E-e-er ist in Texas. Auf einer Schaffarm, die in einer Gegend namens Menard County liegt.“

Triumph durchflutete ihn, doch Reginald ließ sich nichts anmerken. Es bereitete ihm viel zu viel Vergnügen, Farnsworth schwitzen zu sehen.

„Ich vermute, dass Sie bereits zwei Überseereisen gebucht haben?“, wollte er grollend wissen.

„N-n-nein, Sir. Aber ich tue es, sobald wir hier fertig sind.“

„Gehen Sie sofort.“

Farnsworth sprang auf wie ein Verfolgter. „Ich gehe sofort.“ Ohne seine ängstlichen Augen von Reginald zu nehmen, stolperte er zur Tür und hantierte mit fliegenden Fingern am Knauf herum. Nach einigen erfolglosen Versuchen schaffte er es endlich, die Tür zu öffnen, und floh in den Flur.

Reginald trat ans Fenster und beobachtete, wie Farnsworth die Straße entlanghastete. Seine Lippen verzogen sich zu einem gemeinen Grinsen. Lucindas Racheversuch war gescheitert. Wie hätte es auch anders kommen sollen? Keine Frau konnte ihn hintergehen. Stuart mochte ihren Machenschaften erlegen sein, aber sein Bruder war eben schon immer schwach gewesen. Er hatte sich von ihrer Religiosität und ihren Moralvorstellungen einlullen lassen. Reginald wäre so etwas nie passiert. Das hatte Lucinda gewusst. Sie hatte sich selbst für schlau gehalten und war aus England geflohen. Doch dem Tod zu entgehen hatte sie nicht geschafft. Reginald fuhr mit den Fingern über seinen Schnauzbart. Nein. Am Ende gewann er immer. Immer.

Leider waren seine Gläubiger alles andere als geduldig. Nach dem Tod Lucindas hatte er sie ein wenig hinhalten können, doch jetzt, wo das Testament eröffnet worden war, würden sie bald wieder vor seiner Tür stehen. Reginalds Hände ballten sich zu Fäusten. Ruin. Schande. Es war an ihm, den Namen Petchey hochzuhalten. Seine Vorfahren hatten gekämpft und waren gestorben, um ihrem Namen Ehre zu bringen. Er würde nicht zulassen, dass das gesamte Vermögen nach Amerika ging.

Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und ließen den Ring an seiner Rechten funkeln. Reginald hob die Hand und betrachtete das Schmuckstück, wobei die Erinnerung auf ihn einstürmte. Der Ring mit dem schwarzen Onyx war seit Generationen immer an den ältesten Sohn weitergegeben worden. Seit dem Tag von Stuarts Jagdunfall gehörte er ihm.

Ach, Stuart. Er wünschte sich, die Dinge hätten anders laufen können. Früher einmal hatten sich die beiden Brüder nahegestanden. Früher, bevor Lucinda in das Leben seines Bruders getreten war. Reginald tippte mit dem Ring vorsichtig an das Fensterglas. Nun, die Vergangenheit konnte man nicht ändern. Er musste sich auf die Zukunft konzentrieren.

Stuarts Tochter war die Zukunft. Petcheyblut floss durch ihre Adern. Es war seine Aufgabe, ihr ihr rechtmäßiges Erbe zu verschaffen. Dieser Westcott konnte das nicht. Nur er, Reginald Petchey, konnte das. Und mit seiner Nichte als Mündel hätte er auch endlich die finanziellen Mittel, um seine Schulden zu bezahlen und am Ruhm seiner Familie weiterzubauen. Alles, was er tun musste, war, die kleine Göre von diesem Westcott zurückzuholen.

Sturz ins Glück
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